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Fragen an den Goldschmied Hermann Jünger – Ein Gespräch Oktober 2001

The Compendium Finale of Contemporary Jewellers 2008
Darling Publications, Cologne & New York, Andy Lim
Veröffentlichung März 2009





Auszug aus dem Interview


J.K.: Es gibt einen Satz aus einem Film von Pier Pasolini der lautet: wenn das Handwerk stirbt, hört Geschichte auf. Kannst du etwas dazu sagen?


H.J.: Der Satz ist überzeugend, denn Handwerk im besten Sinn ist immer noch Weitergabe von Erfahrungen, Kenntnissen von Gespür für Nuancen für Machbarkeit, Brauchbarkeit für Form. Der mangel an Erfahrung mit handwerkilichen Traditionen bringt zugleich eine Reduzierung des Qualitätsbewusstsein mit sich. Wenn die Gesellschaft dem Handwerk keine Überlebenschance mehr gibt, wir das eine schwierige Sache. Es gibt noch eine begrenzte Zahl von Menschen, die deren Produkte haben wollen und bereit sind, diese zu bezahlen. Das eine hängt ja vom anderen ab. Der Kreis
wird immer enger.

J.K.: Ganz am Anfang hast du noch darüber gesprochen, wie wichtig für dich die Antike war. Da fällt mir ein, als ich vor langer Zeit das erste Mal in Griechenland war, in Olympia, habe ich dort Schmuck gesehen, der mich sehr faszinierte: die Sachen waren eigentlich perfekt, aber sie hatten nicht den Anspruch der Perfektion, wie man heute Schmuck herstellen würde.

H.J.: Perfektion und Vollkommenheit erscheinen mir als zwei verschiedene Dinge.
Eine ganz genau gedrehte und polierte Stahlkugel lässt sich mit heutigem Werkzeug unabsehbar oft wiederholen. Jede Kugel wird genau der anderen gleichen – Perfektion im höchstem Maß. Auch ein Ei hat eine Form, die sich seit Jahrtausenden nicht verändert hat, Eier gleichen einander „wie ein Ei dem anderen“ auch das ist eine perfekte Form. Doch bei genauerem Hinschauen entdecken wir, dass in Wirklichkeit kein Ei dem anderen gleicht. Es gibt Unterschiede in der Oberfläche, den Farbnuancen, den Größen. Im Gegensatz zu industriell hergestellten Dingen ist das Ei etwas Organisches, Lebendiges. Es ist mehr als Perfektion, ich empfinde es als etwas Vollkommenes.
Dies ist der Grund, warum mich Perfektion im Handwerk mehr irritiert als überzeugt. Altes Handwerk ist selten ganz perfekt, erst durch die Industrie wurde das Handwerk verunsichert. Lebendige Unregelmäßigkeiten wurden mehr und mehr als Fehler empfunden. Über den Ehrgeiz, makellose Dinge herzustellen, geriet die Verantwortung für die Form in den Hintergrund. Die meisten heutigen Handwerksbetriebe arbeiten mit Maschinen, die Perfektion ermöglichen, die lebendige Vollkommenheit aber nicht mehr zulassen.